Lockdown, Tag 165

Eigentlich fing der Tag ganz gut und sonnig-warm an, entwickelte sich aber dann erneut zu einer gewissen Dramatik. Ich startete mit einem minimal-Frühstück, und dann versuchte ich erneut, Peter zu erreichen. Anstelle unseres üblichen Thai-Lunchs hatte er mich  für Sonntag zum Essen bei sich an Bord eingeladen, und „Spanische Tortillas“ angekündigt. Drei Stunden bevor das losgehen sollte, rief er allerdings an, um abzusagen. Er fühle sich nicht wohl, hätte extreme Bauchschmerzen, und wollte jetzt ins Krankenhaus. Ich bot ihm an, ihn hinzufahren, aber er lehnte ab, weil er wohl bereits im Krankenhaus angerufen hatte, und die ihm einen Wagen schicken wollten.

Gegen 19 Uhr am Sonntag versuchte ich rauszufinden, wie es ihm ging, und ob er irgendwas brauche. Laut WhatsApp war er gegen 18:45 das letzte Mal online, meine Nachricht blieb allerdings ungelesen. Auch am nächsten Tag. Leicht beunruhigt, weil das nicht seine Art ist, versuchte ich es gestern noch ein paar Mal telefonisch, aber ohne Erfolg. Hatte ich anfänglich noch irgendwie damit gerechnet, daß er sein Handy womöglich im Krankenhaus nicht benutzen könne (oder daß es ihm geklaut worden war, was hier angeblich so unwahrscheinlich nun auch wieder nicht ist, vor allem,  wenn man die hiesigen 8-Bett-Zimmer ohne abschließbare Schränke kennt), entschloß ich mich heute morgen, zumindest mal nach TuziGazi zu fahren, um nach dem Rechten zu sehen und ob er ggf. Hilfe brauchen würde.

Das obige Bild war dann das, was sich mir bot, nachdem ich es durch das komischerweise nur angelehnte (sonst immer verschlossene) Gate auf den Steg zu Lundi Star geschafft hatte.

Übelstes befürchtend, war ich gar nicht erst an Bord, und schon zurück am Gate, nahm mich ein Guard in Empfang. Er wußte von herzlich wenig, oder sagte zumindest nichts Verständliches, brachte mich aber wenigstens netterweise direkt zum Polizeirevier das, etwas versteckt, im zweiten Stock eines Gebäudes nur ein paar Meter entfernt untergebracht ist.

Ein Gespräch mit dem Commander des Reviers brachte Klarheit: Die Besatzung des Krankenwagens hatte ihn zusammengesackt am Salontisch sitzend gefunden. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits tot, die eingeleitete Reanimation blieb erfolglos.

Damit habe ich, innerhalb von nur drei Wochen, die beiden Menschen verloren, die mir hier im Exil am nächsten standen.  Peter naturgemäß nicht so nahe wie Shaheda,  aber er war für mich hier im vergangenen Jahr das geworden, was einem väterlichen Freund am nächsten kam.

Keine Ahnung, ob er nun einen Infarkt, ein durchgebrochenes Magengeschwür oder eine akute Peritonitis gehabt hat, auf jeden Fall hat er zu lange gewartet. Am Telefon hatte er mir Sonntag  noch erzählt, er hätte seit einer Woche Probleme gehabt, die Toilette aufzusuchen. Er hatte hierzulande auch keine Krankenversicherung mehr, und auch keine Auslandskrankenversicherung, nachdem er vor ein paar Jahren seine damalige erfolglos auf Übernahme einer hiesigen Krankenhausrechnung verklagt hatte. Aber dies hätte sicher nicht sein müssen.

Tja. Damit bin ich nun endgültig wieder allein unter Seglern und möchtegern-Handwerkern angelangt, was meine sozialen Kontakte hier auf ein Minimum reduzieren wird. Schätze, es wird dringend Zeit, hier weg zu kommen. Vorhin war ich bei Jaques, der sich nach Shahedas Tod nicht so recht hergetraut hatte, um mich nicht in meiner Trauer zu stören, wie er sagte, und da es derzeit warm, sonnig und einigermaßen  windstill ist, haben wir uns drauf geeinigt,  daß er nun morgen früh endlich die seit 13 Monaten fälligen Restarbeiten oben im Mast erledigt. Warten wir ab, ob er wenigstens diesmal erscheint. Jetzt muß ich erstmal sehen, wo ich im Laufe des Jahres mein Netzwerk-Montagekit hingekramt habe …